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30 Meter in die Tiefe gestürzt

Eine Frau kommt während einer Skitour zu Fall und stürzt über ein Felsband auf einen Gletscher. Das verheisst nichts Gutes. Nun sind rasches Handeln und Präzision beim Einsatz der Rettungswinde gefragt.

Das Wetter an diesem Ostersonntag ist ausgezeichnet: viel Sonne, milde Temperaturen und gute Schneeverhältnisse. Das lockt viele Menschen in die Berge. So auch eine junge Lehrerin aus dem Kanton Bern, die gemeinsam mit einer Freundin eine Skitour zum Giglistock (BE) in den Urner Alpen unternimmt. Beim Aufstieg passiert es: Die Bernerin rutscht aus, verliert den Halt und stürzt etwa 30 Meter über ein Felsband auf den darunterliegenden Steinlimigletscher. Zum Zeitpunkt des Unfalls sind viele andere Skitourengänger unterwegs, die den Unfall beobachten. Einige von ihnen leisten der Verunfallten gemeinsam mit deren Freundin Erste Hilfe und alarmieren die Rega.

Eine Landung am Unfallort ist nicht möglich

Es ist kurz vor halb elf Uhr, als der Alarm die Einsatzzentrale der Rega erreicht. Einsatzleiterin Conny Hirt hat an diesem Tag Dienst und bietet unverzüglich die Crew der Einsatzbasis Wilderswil auf. Die Crew, bestehend aus der Notärztin Selina Hauser, der Rettungssanitäterin Andrea Crivelli und dem Piloten Rick Maurer, schiebt gerade den Helikopter aus dem Hangar, als ihre Einsatzhandys piepsen. Der Blick auf den mitgelieferten Kartenausschnitt zeigt der ortskundigen Crew, dass eine Landung am Unfallort kaum möglich sein wird. Während Pilot Maurer die Turbinen startet, zieht Notärztin Hauser deshalb bereits das «Gstältli» an, das sie für den Einsatz mit der Rettungswinde benötigt. Auch Rettungssanitäterin Crivelli begibt sich anstatt auf ihren Sitz vorne links im Cockpit bereits in die Kabine auf den schwenkbaren Sitz, von dem aus sie die Winde bedienen wird. So verliert die Crew am Unfallort keine Zeit und kann unverzüglich mit der Windenrettung beginnen. Denn: Ein 30-Meter-Sturz verheisst nichts Gutes – jede Minute zählt. «Bei jedem Einsatz denken wir in verschiedenen Szenarien und versuchen zu antizipieren, was uns erwarten könnte. Trotzdem darf man sich nicht in etwas verrennen und muss für Unvorhergesehenes offenbleiben. In diesem Fall waren wir auf das Schlimmste gefasst», erklärt Pilot und Basisleiter Rick Maurer.
 

Landeplatz vorbereiten

Nur wenige Minuten nach dem Alarmeingang hebt der Helikopter ab. Auf dem Weg zum Einsatzort gibt es noch einen Zwischenstopp: In Meiringen steigt der erfahrene Bergführer Simon Flückiger zu. Er leistet heute Pikettdienst als Rettungsspezialist Helikopter (RSH) des Schweizer Alpen-Club SAC und wird die Crew im anspruchsvollen Gelände unterstützen. Auf dem kurzen Flug von Meiringen zum Unfallort erhält die Crew von der Einsatzleiterin Conny Hirt zusätzliche Informationen zum Einsatz auf ihre Handys und Tablets. Die Patientin scheint Glück im Unglück gehabt zu haben: Sie bewege sich und sei ansprechbar. Kollektives Aufatmen im Helikopter. Nichtsdestotrotz soll es schnell gehen, die Patientin muss dringend in ein Spital. Entsprechend plant die Crew von Rega 10 die nächsten Schritte: Ein Zwischenlandeplatz muss gefunden werden, wo die Patientin in die Kabine umgeladen werden kann. In der Nähe der Unfallstelle befindet sich die Tierberglihütte. Einsatzleiterin Conny Hirt informiert den Hüttenwart, dass in Kürze der Rega-Helikopter bei ihnen landen werde. Diese Vorinformation ist wichtig, denn so kann der Landeplatz «vorbereitet» werden. Es müssen Sonnenschirme zugemacht, Fensterläden geschlossen und allfällige Gäste gebeten werden, sich vom Landeplatz zu entfernen. «Während des gesamten Einsatzes bin ich quasi das vierte Crewmitglied. Ich unterstütze die Crew, indem ich beispielsweise Einsatzpartner aufbiete und koordiniere oder die Patientin im Spital anmelde », beschreibt Einsatzleiterin Conny Hirt ihre Aufgaben. 

Derweil nähert sich der Helikopter der Unfallstelle. Ein kurzer Überflug dient der Rekognoszierung und bestätigt die Annahme der Crew, dass der Helikopter nicht bei der Patientin landen kann. Möglich ist aber ein sogenanntes angestütztes Aussteigen: Dabei schwebt Pilot Rick Maurer knapp über dem Gletscher und setzt die Maschine mit dem Vorder- sowie einem Hinterrad auf dem Boden auf. In dieser Position schwebend, lässt er die Notärztin, die Rettungssanitäterin und den Rettungsspezialisten Helikopter aussteigen. Während sich die drei zur Patientin begeben, fliegt Maurer zum einwandfrei vorbereiteten Zwischenlandeplatz bei der Tierberglihütte, wo erauf einen Bericht seiner Kolleginnen und den Funkruf zum Beginn des Einsatzes mit derRettungswinde wartet.

Grosses Glück im Unglück

Am Einsatzort versorgen die Notärztin und die Rettungssanitäterin die Patientin. Die medizinische Erstuntersuchung ergibt, dass die Skitourengängerin grosses Glück gehabt hat. Ausser einer Fraktur des Ellenbogens, diversen Schürfungen und schweren Prellungen sind  keine grösseren Verletzungen auszumachen – und das nach einem Sturz aus 30 Metern über ein Felsband auf einen Gletscher. Während die Notärztin und die Rettungssanitäterin der Frau Schmerzmittel verabreichen und ihr das Bergedreieck für die Rettung an der Rettungswinde anlegen, sammelt RSH Simon Flückiger ihr herumliegendes Tourenmaterial ein und informiert  die Ersthelfer über den weiteren Verlauf der Rettung.

Inzwischen ist die Patientin transportbereit, und Selina Hauser funkt dem Piloten, dass sie abholbereit sind. Als Erste steigt Rettungssanitäterin Andrea Crivelli in den schwebenden Helikopter ein. Der Helikopter gewinnt an Höhe, fliegt eine Kurve und kehrt zur Unfallstelle zurück. Auf den letzten Metern wird Pilot Maurer durch kurze, knappe Kommandos der Rettungssanitäterin dirigiert, die den Windenhaken punktgenau in die Hand der Notärztin steuert. «Die Kommunikation zwischen dem Piloten und mir ist bei einer Aktion mit der Rettungswinde entscheidend. Der Pilot sieht den Windenhaken am Ende des 90 Meter langen Seils nicht. Bei meinen Kommandos muss ich vieles berücksichtigen: den Wind, den Abwind des Helikopters, Pendelbewegungen des Seils usw. Das ist sehr herausfordernd», erklärt Andrea Crivelli. 

Selina Hauser klinkt sich und ihre Patientin am Windenhaken ein, und der leistungsstarke zweimotorige Helikopter Da Vinci bringt die beiden sicher zum Zwischenlandeplatz bei der SAC-Hütte. Dort wird die Patientin schonend in den Helikopter umgeladen und ins Spital geflogen. Im Spital angekommen, übergibt Selina Hauser sie dem Fachpersonal zur weiteren medizinischen Versorgung. Für die Crew ist der Einsatz damit aber nicht zu Ende: Simon Flückiger wird zu Hause abgesetzt, und zurück auf der Basis heisst es Einsatzmaterial auffüllen und tanken. Dann ist Rega 10 bereit für den nächsten Einsatz.

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