Das Unglück
Später mag Anita Jeggli erzählen: «Ich bin passionierte Reiterin und habe schon oft Reittrekkings in Marokko gemacht. In der Gruppe durch die wunderschönen Landschaften zu reiten, ist jedes Mal ein super Erlebnis», schwärmt sie. Doch am dritten Trekkingtag passierte es: Während eines Galopps über das offene Gelände schlägt ein Pferd neben Anita Jeggli seitlich aus und erwischt mit dem Huf ihren Unterschenkel. Sie hört es knacken, schreit auf, ihr Pferd erschrickt. Obwohl sie vom Tier stürzt, lässt sie vor Schmerz und Schreck die Zügel nicht los. Das Pferd dreht sich um sie herum und steht ihr mit dem Huf auf die gleiche Stelle am Bein. Nachdem sie wieder bei Bewusstsein ist, schaut sie an sich herunter: Der untere Teil des Beines steht unnatürlich schräg ab, und Blut sickert durch den Stoff. «Zum Glück realisierten Bewohner im nahe gelegenen Ort, dass etwas passiert war, und organisierten einen Ambulanzwagen.» Dieser fährt Anita Jeggli in die eine Stunde entfernte Klinik in Tiznit, 100 Kilometer südlich von Agadir. Dort wird sie rasch behandelt, bekommt Schmerzmittel, Antiseptikum und eine Diagnose: offener Bruch am Unterschenkel.
Kontakt mit der Rega
Anita Jeggli alarmiert die Rega-Einsatzzentrale. Mit Unterstützung der Reitführerin und nach telefonischem Kontakt sendet das marokkanische Personal die Röntgenbilder an die Beratungsärztin der Rega. Diese empfiehlt, sich der Notoperation vor Ort zu unterziehen, um den Bruch zu fixieren. Denn einen Transport in die Schweiz zu organisieren, braucht etwas Zeit: Es müssen die nötigen Überflug- und Landebewilligungen eingeholt, die Flugroute geplant und die Ambulanz vor Ort organisiert werden.
Die Sorgen wachsen
Ein paar Stunden später wird Anita Jeggli operiert und der «Fixateur externe» angebracht und mit Schrauben im Knochen befestigt. So werden die Knochenfragmente, die durch den Bruch entstanden sind, stabilisiert, damit sie sich nicht gegeneinander verschieben können. «Ich war sehr gut aufgehoben und medizinisch professionell betreut», so Anita Jeggli. Doch sie macht sich Sorgen: Wird ihr Bein wieder vollständig genesen? War auch alles genügend sauber, sodass sich nicht plötzlich eine Entzündung entwickelt? Diese Fragen und anderes belasten sie. «Als ich jeweils umgelagert wurde, waren auf einmal zehn Leute um mich. Danach wieder keine Menschenseele.» Sie ist allein und völlig immobil. «Ich hätte gerne wieder einmal die Zähne geputzt oder mich gewaschen.» Ihr Wunsch stösst auf keine Reaktion. Sie realisiert erst mit der Zeit: Die Pflegerinnen und Pfleger im marokkanischen Spital sind weder für Körperhygiene noch für Mahlzeiten zuständig. Darum kümmern sich Angehörige der Patienten. Ihre Reitführerin bringt ihr schliesslich ein Becken und zwei Tücher, sodass sie sich behelfsmässig waschen kann. «Ich bin einfach nur froh, dass wir die Rega haben. Ich hätte nicht gewusst, wie ich sonst heimgekommen wäre.»