Vier Tage vor dem Einsatz alarmiert der Vater des 17-jährigen Owen die Rega aus einem Spital in der Nähe von Cannes. Bei seinem Sohn wurden vor einigen Tagen innere Blutungen festgestellt, deren Ursachen noch immer ungeklärt sind. Der Rega-Beratungsarzt steht seither im engen Austausch mit dem Vater und den behandelnden Ärzten vor Ort – denn bevor ein Rega-Jet zu einem Einsatz abhebt, bedarf es einer gründlichen medizinischen Abklärung. Schnell wird klar: Eine Rückreise in die Schweiz auf dem Landweg wäre aufgrund der unklaren medizinischen Situation zu riskant, weshalb sich der Beratungsarzt für eine Repatriierung im Rega-Ambulanzjet entscheidet. Was zu diesem Zeitpunkt noch niemand weiss: Owen wird auf dem Repatriierungsflug zurück in die Schweiz nicht der einzige Patient bleiben.
Unweit vom jungen Mann entfernt, in Nîmes, befindet sich ein weiterer Rega-Gönner in Spitalpflege: Er fuhr mit dem Motorrad mit rund 100 Stundenkilometern in ein Kiesbett und stürzte. Dabei verletzte er sich schwer. In der Notfallstation in Frankreich werden ein Schlüsselbeinbruch, vier gebrochene Rippen und eine Lungenquetschung diagnostiziert. Weil aufgrund der Verletzungen im Brustbereich eine Verschlechterung des Zustandes in den nächsten Stunden und Tagen nicht ausgeschlossen werden kann, entscheiden sich die Rega-Beratungsärzte auch in seinem Fall für eine Rückführung im Ambulanzjet. Aufgrund des aktuellen Aufenthaltsorts und ihrer Diagnosen können die beiden Patienten gemeinsam in die Schweiz repatriiert werden. Etwa bei jeder dritten Repatriierung mit einem Rega-Jet werden zwei oder in Ausnahmefällen auch mehr Patienten zurück in die Heimat geflogen.
Die Repatriierung der beiden Patienten wird auf den Folgetag angesetzt. Nun beginnt für die Rega-Einsatzleiterin im Rega-Center eine aufwendige Vorbereitung, denn anders als bei einer Repatriierung mit nur einem Patienten müssen hier mehrere Patiententransporte am Boden und mehrere Starts und Landungen organisiert und koordiniert werden. Die Einsatzleiterin erstellt den Zeitplan, bietet die Crew auf und beginnt damit, Ambulanzfahrzeuge in Südfrankreich und in der Schweiz zu organisieren. Diese sollen die beiden Patienten in Frankreich zum Rega-Jet und später in der Schweiz in die Zielspitäler transportieren. Währenddessen berechnet der Dispatcher in der Einsatzzentrale die Flugrouten unter Berücksichtigung der Wind- sowie Wetterverhältnisse und erstellt die Treibstoffberechnung.
Vorbereitung für einen reibungslosen Einsatz
Am nächsten Morgen bereiten sich die Intensivpflegefachfrau Karine Lang und die Flugärztin Eliane Dössegger im Medizinraum des Hangars im Rega-Center auf den Einsatz vor. Es gilt, die richtigen Medikamente und das passende Material für beide Patienten dabei zu haben. «Wir müssen immer flexibel bleiben und auf Unvorhergesehenes reagieren können», erklärt Karine Lang. Zur selben Zeit besprechen Pilot Stefan Hug und Co-Pilotin Annika Berner die Details zum Flug sowie Start- und Landezeiten. Pünktlich um acht Uhr trifft sich die gesamte Crew zum gemeinsamen Briefing mit der Einsatzleitung. Kurz vor neun Uhr hebt der Rega-Jet in Richtung südfranzösische Küste ab und landet eine knappe Stunde später in Cannes.
Fragen an den Patienten
Patient Owen fühlt sich inzwischen etwas besser. Die Ursache für die schweren Blutungen wurde aber noch immer nicht gefunden, und sein Zustand könnte sich jederzeit verschlechtern. Bis er im Rega-Jet ist, wird er von Rettungssanitätern des Ambulanzdienstes betreut. Nach der Übergabe an die Rega-Crew überprüfen Eliane Dössegger und Karine Lang seinen Gesundheitszustand und stellen ihm dabei ein paar einfache Fragen – zum Beispiel nach dem heutigen Datum oder dem Grund für die Repatriierung. «Das mache ich, wenn möglich, bei allen Patienten. Es hilft uns dabei, ihren aktuellen Zustand zu verstehen und ihre Verfassung einzuschätzen, damit wir ihnen während des Flugs bestmöglich helfen können», erklärt Eliane Dössegger. Einige Minuten früher als geplant hebt der Ambulanzjet in Richtung Nîmes ab.
Zur richtigen Zeit am richtigen Ort
Der Flug verläuft problemlos, und schon bald rollt der Rega-Jet auf seinen Standplatz. Es verstreichen nur wenige Minuten, bis das blau-weisse Ambulanzfahrzeug mit dem zweiten Patienten des heutigen Tages auftaucht. Für Stefan Hug und Annika Berner gerade Zeit genug, um die speziell für die Rega-Jets angefertigte Rampe auszuklappen, auf der später der Patient in den Jet geschoben wird. Der 58-jährige Mann ist müde, aber sichtlich erleichtert, dass es nun in die Heimat geht. Die medizinische Crew und Patienten sind bereit für den Flug, Eliane Dössegger und Karine Lang geben grünes Licht in Richtung Cockpit. Bisher läuft der Einsatz reibungslos, und die Rega-Crew ist dem ursprünglichen Zeitplan mittlerweile 30 Minuten voraus. Deshalb teilt die Einsatzleiterin im Rega-Center den Ambulanzdiensten in der Westschweiz und in Zürich die neuen Ankunftszeiten mit. Dank dieser Information wartet in Genf rechtzeitig ein Ambulanzfahrzeug auf die Rega-Crew. Dieses wird den Patienten Owen ins Spital fahren.
Nach dem Einsatz ist vor dem Einsatz
Vor dem letzten Take-off des heutigen Tages checkt Karine Lang nochmals den Zustand des zweiten Patienten. Er hat bisher geschlafen und wird auch den letzten, kurzen Flug von Genf nach Zürich schlafend verbringen. Sein Zustand ist stabil, und im Hangar des Rega-Centers wird ein Ambulanzfahrzeug auf ihn warten und ihn ins Spital transportieren. Kurz vor der Landung erwacht er dann aber doch. «Wir sind gleich zu Hause», lässt ihn Eliane Dössegger vor dem Aufsetzen des Jets auf der Piste 14 wissen. Im Rega-Hangar verabschiedet sich die Crew vom Patienten, bevor er im Ambulanzfahrzeug die kurze Fahrt ins Zielspital antritt.
Für die vierköpfige Crew ist der Arbeitstag noch nicht beendet. Sie sorgt dafür, dass der Jet wieder bereit für den nächsten Einsatz im Hangar des Rega-Centers steht. Beim abschliessenden Debriefing bespricht die Besatzung die vergangenen Stunden. Die Zusammenarbeit und die Kommunikation mit der Einsatzzentrale haben hervorragend funktioniert. Während die Crew den Briefingraum verlässt, werden in der Einsatzzentrale bereits die nächsten Repatriierungen geplant.