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Betreuung des Patienten im Jet

Punktlandung in der Sonnenstube

Nach einer Gallenblasen- Operation wird eine Patientin von Wien nach Lugano geflogen. Dabei landet der neue Rega-Jet erstmals auf der kurzen Landebahn des Tessiner Flughafens.

Volle Konzentration: Die Landung auf dem Flughafen Lugano-Agno gehört wegen der kurzen Landebahn zu den anspruchsvolleren in Europa. Denn sie erfordert nicht nur fliegerisches Geschick, sondern auch eine genaue Planung. Mit zu viel Rückenwind oder einem zu vollen Tank reicht die kurze Landebahn nicht aus, um grössere Flugzeuge wie den Rega- Jet darauf zum Stehen zu bringen. Urs  Nagel, Chefpilot und Kapitän sowie Kopilotin  Nadine Flückiger sind schon oft in Lugano-Agno gelandet. Und doch ist etwas speziell am heutigen Flug: Es ist die erste Landung des neuen Rega- Jets vom Typ Bombardier Challenger 650 in  Lugano.  In der Kabine des Ambulanzjets bekommen weder die Tessiner Patientin  Margarete Torti noch ihr Ehemann, der ganz in ihrer Nähe sitzt, etwas von den Landevorbereitungen im Cockpit mit. Hell scheint die Tessiner Sonne durch die grossen Fenster, Rega-Flugarzt Harald Nater überprüft ein letztes Mal die Infusion und die übrigen medizinischen Gerätschaften, bevor auch er sich für die Landung setzen und anschnallen muss. Leise spricht er mit der älteren Tessinerin: «In wenigen Minuten werden wir in Lugano landen. Im  Spital so nah von Ihrem Zuhause kommen Sie bald wieder auf die Beine.» 


Zusammenbruch beim Nachtessen

Vor drei Wochen war Frau Torti beim gemeinsamen Nachtessen in Wien plötzlich zusammengebrochen: «Sie wollte mir meinen Teller reichen, hat sich umgedreht und ist einfach umgekippt», erzählt Herr Torti vom Schreckensmoment in der Wiener Ferienwohnung des Ehepaars, das sich vor mehr als 60 Jahren während des Studiums in der Stadt an der Donau kennengelernt hatte. «Zuerst dachte ich an einen Schwächeanfall. Ich rief einen befreundeten Arzt an, der sofort bei uns war und noch in der Wohnung Blutproben entnahm», so Torti. Zum Glück erkennt der Arzt den Ernst der Lage, kurz darauf wird Frau Torti im  Spital eine geplatzte Gallenblase diagnostiziert und sie wird operiert. Doch nach der Operation folgen Komplikationen, an eine Rückkehr in die Heimat zur Weiterbehandlung ist noch nicht zu denken. Trotzdem erkundigt sich Herr Torti regelmässig beim behandelnden Arzt, wann seine Frau heimkehren könne. Schliesslich gibt der Arzt grünes Licht für einen Transport nach Lugano. Herr Torti kontaktiert die Versicherung und diese betraut die Rega mit medizinischen Abklärungen sowie der Organisation und Durchführung der Repatriierung. In der Rega-Einsatzzentrale nimmt die Beratungsärztin Kontakt mit dem behandelnden Arzt vor Ort auf, um ein möglichst genaues Bild über den Gesundheitszustand von Frau Torti zu erhalten. Ist sie wirklich transportfähig? 


Genaue Abklärung vor einer Repatriierung

Gerade nach Operationen im Bauchraum ist grosse Vorsicht geboten: Trotz Druckkabine entspricht der Luftdruck in einem Flugzeug ungefähr dem in einer Höhe von 2’000 Metern über Meer. Durch den geringeren Druck in der Kabine dehnt sich die Luft in den Hohlräumen im Körper aus, also beispielsweise im Darm, was zu Schwierigkeiten führen kann. Auch ist die Sauerstoffsättigung in dieser Höhe geringer. Das alles gilt es bei den Abklärungen zu berücksichtigen. Nach einem längeren Gespräch mit dem Wiener Arzt, der Konsultation der übermittelten Arztberichte sowie einer Abklärung mit dem Zielspital in Lugano gibt auch die Rega-Beratungsärztin grünes Licht: Frau Torti kann liegend und unter enger Überwachung im Ambulanzjet in die Schweiz geflogen werden. Die Einsatzleitung der Rega organisiert nun die Repatriierung von A bis Z. Der Transport vom Spital zum Flughafen Wien, das Aufb ieten der Crew, die richtige Menge Kerosin für den Flug, die Flugpläne für die Flugsicherung, der Transport ins Regionalspital nach der Landung im Tessin, die Patientenanmeldung im Spital: Jedes noch so kleine Detail wird sorgfältig geplant, damit der Einsatz am nächsten Tag reibungslos und ohne Überraschungen verläuft. Von der komplexen Organisation des Einsatzes im Hintergrund erfährt Herr Torti  allerdings nichts, als ihn die Rega-Einsatzleiterin telefonisch informiert, dass seine Frau und er am nächsten Tag im Spital abgeholt und mit dem Rega-Jet nach Hause geflogen werden.


Auch der Ehemann wurde schon repatriiert

Der Challenger 650 hat soeben eine lange Linkskurve vollendet und befindet sich nun im Sinkflug zwischen den Hügeln nördlich des Flughafens Lugano-Agno. Bisher verlief der Einsatz genau nach Plan. Ehemann Torti erzählt Intensivpflegefachmann Dirk Räber von seiner eigenen Erfahrung mit der Rega: «Vor vielen Jahren wurde ich selbst wegen eines medizinischen Notfalls mit einem Rega- Jet aus Amsterdam repatriiert. Allerdings weiss ich nicht mehr viel von meinem Rückflug  damals – ausser dass es im alten Flugzeug nicht so schön hell war wie hier.» Die Piloten haben alles im Blick Im Cockpit konzentrieren sich Urs Nagel und Nadine Flückiger auf die bevorstehende Landung. Das Fahrwerk ist bereits ausgefahren. Derweil nimmt der Flughafen Lugano-Agno beim Näherkommen im Cockpit-Fenster immer mehr Platz ein. Nur die Landebahn, die bleibt auch aus der Nähe kurz. Die vier grossen Bildschirme im Cockpit zeigen alle wichtigen Informationen an: Position, Höhe, Geschwindigkeit, aber auch Wetterdaten und die Höhe der um liegenden Hügel. Für den Anflug klappt Pilot Urs Nagel das sogenannte Head-up-Display herunter, welches sich nun direkt vor seinen Augen befindet. Die transparente Scheibe dient als Projektionsfläche für ausgesuchte Flug daten. So hat der  Rega-Pilot immer alle Angaben im Blickfeld, ohne den Kopf senken zu müssen. Etwa 15  Meter über dem Boden nehmen die Rega-Piloten die Leistung der Triebwerke ganz zurück und heben die Nase des Rega- Jets an. Der HB-JWA setzt sanft in Lugano auf und kommt weit vor Ende der Landebahn zum  Stehen.


Betreuung bis ins Zielspital

Mit geübten Handgriffen öffnet Pilotin Nadine Flückiger die Tür am Ausgang des Rega-Jets und lässt die Treppe vorsichtig zu Boden. Zusammen mit Urs Nagel baut sie die Rampe auf, die während des Fluges zusammengeklappt in der Aussenwand des Jets verstaut war. Auf die Minute genau fährt die von der Rega-Einsatzleitung organisierte Ambulanz mit Blaulicht über das Rollfeld. Die Tessiner Kollegen von der Croce Verde Lugano werden begrüsst und packen sogleich mit an, um Frau Torti langsam und schonend auf dem Transportwagen die Rampe hinunter und in die Ambulanz zu schieben. Flugarzt Harald Nater begleitet das Ehepaar Torti ins Spital und übergibt seine Patientin dem betreuenden Arzt. Herr Torti erzählt dort zum Abschied, er und seine Frau sähen von ihrem Haus aus seit Jahren die Rega- Helikopter, die täglich beim Spital in  Lugano landen. «Ich habe immer gesagt: Wir sind Rega- Gönner, weil wir nie wissen, ob wir auch einmal in so einem Rettungshelikopter liegen. Nun war es zwar kein Rega-Helikopter, aber den Rega-Jet haben wir gebraucht. Und das jetzt sogar schon zum zweiten Mal.»  

Harald Schreiber
 

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